Scientia - Vol. VII/Die Leitgedanken meiner naturwissenschaftlichen Erkenntnislehre und ihre Aufnahme durch die Zeitgenossen

Ernst Mach

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Die Leitgedanken meiner naturwissenschaftlichen Erkenntnislehre und ihre Aufnahme durch die Zeitgenossen
Mars The «Canals» of Mars
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DIE LEITGEDANKEN

MEINER NATURWISSENSCHAFTLICHEN ERKENNTNISLEHRE

UND IHRE AUFNAHME DURCH DIE ZEITGENOSSEN


Um die Erkenntnislehre, der ich einen guten Teil meines Lebens gewidmet habe, in Kürze darzustellen, beginne ich mit Angabe der Umstände, unter welchen diese Gedanken sich entwickelt haben.

Indem ich bei Beginn meiner Lehrtätigkeit als Privatdozent der Physik 1861 auf die Arbeiten der Forscher achtete, über welche ich zu referiren hatte, erkannte ich in der Auswahl der einfachsten, sparsamsten, zweckdienlichsten zum Ziel führenden Mittel das Eigentümliche ihres Vorgehns. Durch den Verkehr mit dem Nationalökonomen E. Hermann 1864, der seinem Beruf gemäss ebenfalls das wirtschaftliche Element in jeder Art von Beschäftigung aufzuspüren suchte, gewöhnte ich mich, die geistige Tätigkeit des Forschers als eine wirtschaftliche oder ökonomische zu bezeichnen. Dies wird schon durch die einfachsten Fälle nahe gelegt. Jeder abstrakt begriffliche, zusammenfassende Ausdruck des Verhaltens von Tatsachen, jeder Ersatz einer Zahlentabelle durch eine Formel oder eine Herstellungsregel, das Gesetz derselben, jede Erklärung einer neuen Tatsache durch eine andere bekanntere, kann als eine Ökonomische Leistung aufgefasst werden. Je weiter, eingehender man die wissenschaftlichen Methoden, den systematischen, ordnenden, vereinfachenden, logisch-mathematischen Aufbau analysirt, desto mehr erkennt man das wissenschaftlische Tun als ein ökonomisches.

Als Gymnasiast lernte ich schon 1854 die Lehre Lamarcks durch meinen verehrten Lehrer F. X. Wessely kennen, war also wol vorbereitet, die 1859 publizirten Gedanken Darwins [p. 226 modifica]aufzunehmen. Diese werden schon in meinen Grazer Vorlesungen 1864-1867 wirksam und äussern sich durch Auflassung des Wettstreits der wissenschaftlichen Gedanken als Lebenskampf, als Ueberleben des Passendsten. Diese Ansicht widerspricht nicht der ökonomischen Auffassung, sondern lässt sich, diese egänzend, mit ihr zu einer biologisch-ökonomischen Darstellung der Erkenntnislehre vereinigen. In kürzester Art ausgedrückt erscheint dann als Aufgabe der wissenschaftlischen Erkenntnis: Die Anpassung der Gedanken an die Tatsachen und die Anpassung der Gedanken aneinander. Jeder förderliche biologische Prozess ist ein Selbsterhaltungsvorgang, als solcher zugleich ein Anpassungsprozess und ökonomischer als ein dem Individuum nachteiliger Vorgang. Alle förderlichen Erkenntnisprozesse sind Spezialfälle oder Teile biologisch günstiger Prozesse. Denn das physische biologische Verhalten der höher organisirten Lebewesen wird mitbestimmt, ergänzt durch den innern Prozess des Erkennens, des Denkens. An dem Erkenntnisprozess mögen sonst noch die verschiedensten Eigenschaften zu bemerken sein; wir charakterisiren diesen zunächst als biologisch und als ökonomisch, d. h. zwecklose Tätigkeit ausschliessend.

Diese leitenden Gedanken habe ich in verschiedenen Schriften ausgeführt. Zuerst in «Die Geschichte und die Wurzel des Satzes von der Erhaltung der Arbeit», 1872, mit besonderer Rücksicht auf die Denkökonomie; ferner beide Seiten berücksichtigend in «Die Mechanik in ihrer Entwicklung», 1883, und in «Die Prinzipien der Wärmelehre», 1896. Besonders beachtete ich die biologische Seite der Frage in «Die Analyse der Empfindungen», 1886. In der reifsten Form ist meine Erkenntnislehre behandelt in «Erkenntnis und Irrtum», 1905. Diese Schriften sollen im Folgenden der Reihe nach zitirt werden als «E. d. A.», «M.», «W.», «A. d. E.», und «E. u. I.».

Obwol einzelne Anerkennungen nicht fehlten, so war es doch sehr natürlich, dass namentlich meine ersten Publikationen sowol von den Physikern als auch von den Philosophen äusserst kühl und ablehnend aufgenommen wurden. In der Tat hatte ich bis in die Achtzigerjahre des abgelaufenen Jahrhunderts das Gefühl allein gegen den Strom zu schwimmen, obgleich dies längst nicht mehr der Fall war. Kurz vor Ausgabe der «Mechanik» lernte ich beim Suchen [p. 227 modifica]nach Schriften verwandten Inhalts Avenarius’, «Philosophie als Denken der Welt nach dem Prinzip des kleinsten Kraftmasses», 1876, kennen, und konnte diese Arbeit noch im Vorwort zur Mechanik anführen. Schon 2 Jahre nach meiner «Analyse» erschien der erste Band von Avenarius’, «Kritik der reinen Erfahruny», 1888, und einige Jahre später ermutigten mich die Arbeiten von H. Cornelius, «Psychologie als Erfahrungswissenschaft», 1897, und «Einleitung in die Philosophie», 1903, und J. Petzoldt, «Einführung in die Philosophie der reinen Erfahrung», 1900. So sah ich, dass ich wenigstens einem Teil der Philosophen nicht gar so fern stand, als ich lange dachte. Freilich findet der längst verstorbene Avenarius auch heute sein Publikum mehr in Italien, Frankreich und Russland, als in seinem Vaterlande. Erst vor einigen Jahren wurde ich mit W. Schuppe’s Arbeiten namentlich mit seiner «Erkenntnistheoretischen Logik», 1878, bekannt und sah, dass dieser Autor schon 1870 verwandte Bahnen eingeschlagen hatte.

Weit seltener fand ich Zustimmung bei den Physikern. Zwar hatte ich und auch die «Energetik» Ostwald’s einen sehr berühmten Vorgänger in W. J. M. Rankine, der schon in seiner 1855 erschienenen kleinen Abhandlung «Outlines of the Science of Energetics»1 auf den Unterschied der erklärenden (hypothetischen) und der abstrakten (beschreibenden) Physik hinwies und die letztere als die eigentlich wissenschaftliche empfahl, zu welcher die erstere nur die vorbereitende Stufe bilden sollte. Allein schon der Umstand, dass mir Rankine’s Ausführungen bei Beginn meiner Arbeit noch unbekannt waren und sein konnten, bezeichnet genügend deren geringe räumliche und zeitliche Fernwirkung. Als ich nun in «E. d. A.» für die ökonomische Darstellung des Tatsächlichen, für die Ermittlung der Abhängigkeit der Erscheinungen von einander eintrat, was wenigstens teilweise als eine Erneuerung der Rankineschen Vorschläge anzusehen ist, blieb dies selbstverständlich ebenso unbeachtet. Das «allgemeine Staunen», mit welchem 2 Jahre später Kirchhoff’s Bezeichnung der Aufgabe der Mechanik als «vollständige einfachste Beschreibung der Bewegungen» aufgenommen wurde, ist ebenso characteristisch. Die vereinzelten Aeusserungen, welche [p. 228 modifica]als Zustimmung zu der neuen Auffassung angesehen werden können, habe ich in dem Vorwort zum zweiten Abdruck von «E. d. A.» 1909 erwähnt. Spät hören wir das Wort von Hertz, die Maxwellsche Theorie bestünde eigentlich in den Maxwellschen Gleichungen, spät hören wir die Worte von Helmholtz in der Vorrede zu Hertz’ Mechanik S.xxi. Erst 1906 erschien P. Duhem, «La Theorie physique», welche vollständig mit dem alten Standpunkt bricht.

Bei meinen historischen Studien über Mechanik und Wärmelehre erleichterte mir die biologisch-ökonomische Auffassung des Erkenntnisprozesses ungemein das Verständnis der wissenschaftlichen Entwicklung. Der durch das Streben nach Selbsterhaltung zu praktisch-ökonomischem Verhalten gedrängte Mensch reagirt zunächst ganz instinktiv auf günstige und ungünstige Umstände. Sobald aber die soziale Entwicklung, die Teilung der Arbeit, die Entstehung des Handwerkerstandes den Einzelnen nötigt, seine Aufmerksamkeit den Zwischenmitteln, den Zwischenzielen zur Befriedigung der Bedürfnisse zuzuwenden, so tritt eigentlich erst bewusst der Intellekt in Wirksamkeit. Die praktische Unbehaglichkeit wird alsbald durch die drängende intellektuelle Unbehaglichkeit ersetzt. Das willkürlich gewählte Zwischenziel wird nun mit demselben Eifer und mit denselben Mitteln verfolgt, als vorher etwa die Stillung des Hungers. Die instinktiven Bewegungen des Wilden, die halbbewusst erlernten Griffe des Handwerkers sind die Vorbereitungen der Begriffe des Forschers. Die Ansichten und die verachteten banausischen Künste des Handwerks gehen unvermerkt in die Ansichten und Kunstgriffe des Physikers über, und die Oekonomie der Tat wächst allmälig zur intellektuellen Oekonomie des Forschers aus, die sich auch in dem Streben nach den idealsten Zielen betätigen kann.

Die Aeusserungen dieser Oekonomie sehe ich deutlich in der allmäligen Zurückführung der statischen Gesetze der Maschinen auf ein einzinges, das der virtuellen Verschiebung oder des Verschwindens der Arbeit, in dem Ersatz der Keplerschen Gesetze durch das einzige Newtonsche d2r/dt2 = mm1/r2, in der Verminderung, Vereinfachung und Klärung der Begriffe der Dynamik. Deutlich sehe ich die biologisch-ökonomische Gedankenanpassung, die nach dem Prinzip der Kontinuität (Permanenz) und dem der zureichenden Bestimmtheit [p. 229 modifica]vorgeht, den Begriff «Wärme» in die beiden Begriffe «Temperatur» und «Wärmemenge» spalten, sehe wie dann der Begriff «Wärmemenge» zur «latenten Wärme», zu den Begriffen «Energie» und «Entropie» führt. Aber dies auszuführen, ist Sache von Büchern und nicht Gegenstand einer Abhandlung.

Der biologisch-ökonomische Gesichtspunkt mag willkürlich, beschränkt und einseitig, vielleicht auch unpassend bezeichnet sein, für falsch oder unfruchtbar kann ich ihn nicht halten. Petzoldt spricht lieber von Stabilität als von Oekonomie. Ich zog den Ausdruck Oekonomie vor, weil diese Analogie zum vulgären Leben mich zuerst zum Verständnis wissenschaftlicher Wandlungen geleitet hat. Uebrigens kommen später noch andere Gesichtspunkte zur Sprache.

Um nun deutlich zu machen, welcher Auffassung meine Erkenntnislehre bei hervorragenden modernen Physikern begegnet, bitte ich den Leser wo möglich M. Planck’s, «Die Einheit des physikalischen Weltbildes», Leipzig, S. Hirzel, 1909, zur Hand zu nehmen, da ich mich mit dieser 38 Seiten fassenden Schrift etwas auseinander setzen muss. Ohne auf die Form zu reagiren, oder diese gar nachzuahmen — le style c’est l’homme — will ich deren Inhalt rein sachlich besprechen.

Planck unterscheidet S. 4 zwei Methoden des Betriebes der Physik, ungefähr im Sinne Rankine’s, die von erfassten Einzelerscheinungen ausgehende, kühn verallgemeinernde und erklärende und die nüchtern beschreibende. Als Beispiele für die erstere nennt er des Thales Wassertheorie, Ostwald’s Energetik und Hertz’ «geradeste Bahn», als Vertreter der zweiten Methode führt er Kirchhoff an. Nun freue ich mich zwar, dass der Energetik sogar eine bedeutende «Stosskraft» zugeschrieben wird, während sie noch in Lübeck «nicht das Geringste» geleistet hatte, aber die Energetik kann ich nur zur zweiten Rankineschen Methode rechnen, ebenso wie den Hertzschen Gedanken der geradestente Bahn. Wenn man ferner Kirchhoffs «vollständige einfachste Beschreibung» genau übt, nicht nur «Beschreibung», so bleibt kein Raum für Erklärungen. Denn «ist einmal eine Tatsache nach allen ihren Seiten bekannt, so ist sie eben dadurch erklärt und die Aufgabe der Wissenschaft ist beendigt» (J. R. Mayer). Kirchhoff kann also wenigstens in seinem Fall an keinen Gegensatz zu einer zweiten Methode gedacht haben. Nach P. [p. 230 modifica]kann die Forschung auf keine der beiden Methoden verzichten; ich halte allerdings die Kirchhoffsche für die richtige, ohne der andern die historisch erprobte Nützlichkeit abzusprechen.

S. 5 frägt P., wie das physikalische Weltbild, welches durch Anwendung dieser Methoden zu stande kommt beschaffen ist? «Ist dasselbe lediglich eine zweckmässige, aber im Grunde willkürliche Schöpfung unseres Geistes, oder finden wir uns zur gegenteiligen Auffassung getrieben, dass es reale, von uns ganz unabhängige Naturvorgänge widerspiegelt?» Ich kann hier keinen unvereinaren Gegensatz finden. Zweckmässig muss es sein, um uns zu leiten; was würden wir sonst damit anfangen? Von der Individualität abhängig, also in gewissem Sinne willkürlich muss es wol ebenfalls sein. Das zeigt der Vergleich der Newtonschen mit der Huygensschen, Biotschen, Young-Fresnelschen Optik, der Vergleich der Lagrangeschen mit der Poinsotschen und Hertzschen Mechanik. Wer könnte die Forscher hindern auf verschiedene Seiten der Tatsachen ihre besondere Aufmerksamkeit zu richten? Etwa das Dekret eines hinreichend angesehenen Physikers? Natürlich wird aber das menschliche, sozial sich erhaltende Weltbild durch den Wechsel der Forscher zusehends unabhängiger von der Individualität, fortschreitend ein reinerer Ausdruck der Tatsachen. Im allgemeinen kommen aber in jeder Beobachtung, in jeder Ansicht sowol die Umgebung als auch der Beobachter zum Ausdruck.

S. 6, 7 enthalten bekannte historische Tatsachen, über die kaum etwas zu bemerken ist.

S. 8 u. f. ist von der Vereinheitlichung des Systems der Physik die Rede, gegen die gewiss niemand etwas einzuwenden hat, am allerwenigsten der Vertreter der Denkökonomie, selbst wenn diese Vereinheitlichung nur eine vorläufige, hypothetisch-fiktive2 sein sollte. Nur glaube ich allerdings, dass die Elektrodynamik, oder sagen wir die Lorentzsche Theorie viel mehr Aussicht hat nach W. Wiens Auffassung die Mechanik als speziellen Fall in sich aufzunehmen, als umgekehrt.

Auch den Ausführungen, die nun von S. 10 an bis etwa 29 folgen, die sich auf den ersten und zweiten Hauptsatz der Thermodynamik beziehen, namentlich auf die wichtige [p. 231 modifica]Unterscheidung reversibler und irreversibler Vorgänge, kann ich im wesentlichen zustimmen. Denn wenn auch die betreffenden Sätze gerade bei Gelegenheit und auf Anlass praktisch-ökonomischer Fragen gefunden worden sind, so ist die Denkökonomie in ihren Zielen durchaus nicht auf die Untersuchung menschlich praktisch-ökonomischer Bedürfnisse beschränkt und gebunden.

Nur meiner Abneigung gegen die hypothetisch-fiktive Physik kann ich nicht entsagen. Darum habe ich auch meine besondere Meinung über die Wahrscheinlichkeits-Untersuchungen Boltzmanns auf Grundlage der kinetischen Gastheorie betreffend den zweiten Hauptsatz. Wenn Boltzmann gefunden hat, dass Vorgänge entsprechend dem zweiten Hauptsatz sehr wahrscheinlich, entgegen demselben nur sehr unwahrscheinlich sind, so kann ich nicht annehmen, dass das Verhalten gemäss diesem Satz nachgewiesen sei. Auch kann ich es nicht richtig finden, wenn P den ersten Teil annimmt, ohne dem zweiten Teil folgen zu wollen (S 24), denn beide Hälften der Folgerung sind nicht von einander trennbar. Wie könnte auch ein absolut konservatives System elastischer Atome durch die geschicktesten mathematischen Betrachtungen, die ihm doch nichts anhaben können, dazu gebracht werden, sich wie ein nach einem Endzustand strebendes System zu verhalten? Vgl. «W.», 2. Aufl. S. 364, ferner Seeliger, «Ueber die Anwendung der Naturgesetze auf das Universum». S 20, Münchener Akad., 1. Mai 1909.

S. 29 konstatirt P., dass die Sinnesempfindungen als die Quelle unserer Erfahrung nicht ignorirt werden dürfen, dass aber das farblose kinetische Weltbild wegen seiner Einheitlichkeit doch vorzuziehen sei. Dieses Weltbild sei (S. 31) nicht nur unabhängig vom Individuum, sondern auch für alle Zeiten und Völker, ja auch für die anders organisirten Marsbewohner giltig. Wer dies nicht anerkennt, sage sich von der physikalischen Denkweise los. S. 34 finden wir die Behauptung, die Atome seien nicht weniger real als die Himmelskörper, und dass ein Atom Wasserstoff 1,6.10-24 g. wiegt sei ebenso gewiss, wie dass der Mond 7.1025 g. wiegt. Eine ähnliche Aeusserung finden wir übrigens bei dem berühmten Begründer der modernen Elektronentheorie H. A. Lorentz.

Auch ich betrachte die Sinnesempfindungen als die Quelle aller Erfahrung, glaube aber nicht, dass sie bestimmt sind [p. 232 modifica]nach Fundirung der physikalischen Begriffe sofort wieder vergessen zu werden, sondern schreibe ihnen höheren Wert zu, namentlich als Band zwischen der Physik und den anderen Naturwissenschaften. Ich habe anderwärts zu zeigen versucht, wie ohne künstliche Hypothesen allmälig eine einheitliche Physik aufgebaut werden kann3, allerdings nicht in einer Woche.

Die Sorge um eine für alle Zeiten und Völker bis zu den Marsbewohnern giltige Physik, während uns noch manche physikalische Tagesfragen recht drücken, scheint mir sehr verfrüht, ja fast komisch. Aber auch auf diese Frage habe ich schon vor Jahren geantwortet. Alle Lebewesen, welche künftig Physik treiben werden, werden wie wir für ihre Lebenserhaltung zu sorgen, daher zunächst auf das ökonomisch Wichtige, Beständige in der Natur zu achten haben, womit sogar schon der Anknüpfungspunkt zu unserer Physik, sofern diese ihnen wunderbarer Weise zugänglich sein sollte, gegeben wäre4. Ja ich zweifle auch nicht, dass ein uns analog organisirtes Wesen, wenn es vor Entstehung oder nach dem Untergang der Erde irgendwo im Weltraum beobachten könnte, einen dem von uns konstatirten entsprechenden Weltlauf wahrnehmen würde. Nur diesen hypothetischen Sinn kann ich vernünftiger Weise der Planckschen Frage S. 32 beilegen. Das alles hängt gerade nach meiner biologisch-ökonomischen Auffassung gar nicht so in der Luft und überhaupt gar nicht von der Qualität der Empfindungen ab. — Was endlich die «Realität» der Atome betrifft, so zweifle ich gar nicht, dass wenn die Atomentheorie der sinnlich gegebenen Realität quantitativ angepasst ist, auch die hieraus gezogenen Folgerungen in irgend einer Weise zu den Tatsachen in Beziehung stehen werden, nur in welcher bleibt fraglich. Der Abstand der Gläser des ersten dunklen Ringes im reflektirten Licht entspricht der Hälfte der Anwandlungsperiode nach Newton, aber einem Viertteil der Wellenlänge nach Young-Fresnel. So können auch die Ergebnisse der Atomentheorie noch mannigfaltige und nützliche Umdeutungen erfahren, auch wenn man sie nicht geradezu eilfertig für Realitäten hält. Also den [p. 233 modifica]Glauben der Physiker in Ehren! ich kann ihn aber nicht zu dem meinigen machen.

Wenn der Plancksche Vortrag mit S. 32 abgeschlossen hätte, so wäre für mich gar kein Anlass gewesen, mich mit demselben zu beschäftigen. Nun beginnt aber an dieser Stelle eine ausdrücklich gegen mich gerichtete Polemik, die mir erst zum Bewusstsein brachte, dass auch die in dem vorausgehenden Teil bemerkbaren Spitzen, die allerdings an mir vorbeifuhren, ohne mich zu verwunden, ebenfalls mir, oder doch meinesgleichen zugedacht waren. Deshalb habe ich auch den ersten Teil besprochen. Namentlich die Polemik, welche das Ende bildet, bestimmt mich aber durch das Ungewöhnliche der Form, durch die vollständige Unkenntnis der bekämpften Sache und durch den eigentümlichen Schluss zu einigen Worten der Entgegnung. Die Richtigstellung des Plancken Referates über meine vermeintlich perverse Auffassung der Empfindungen muss ich einem folgenden Abschnitt dieser Abhandlung zuweisen.

Wie der Leser wol bemerkt hat, genügt die biologisch-ökonomische Auffassung des Erkenntnisprozesses vollständig, um zu jener der heute gangbaren Physik in ein verträgliches, ja freundliches Verhältnis zu treten. Die eigentliche Differenz, die sich bisher geoffenbart hat, bildet der Glaube an die Realität der Atome. Das ist es auch, weswegen Planck kaum genug degradirende Worte für solche Verkehrtheit finden kann. Will man sich an psychologischen Konjekturen erfreuen, so muss man seinen Vortrag selbst lesen, und ich kann nur wünschen, dass es geschehe. Nachdem nun P. noch mit christlicher Milde zur Achtung für den Gegner gemahnt, brandmarkt er mich schliesslich mit dem bekannten Bibelwort als falschen Propheten. Man sieht, die Physiker sind auf dem besten Wege eine Kirche zu werden und eignen sich auch schon deren geläufige Mittel an. Hierauf antworte ich nun einfach: Wenn der Glaube an die Realität der Atome für Euch so wesentlich ist, so sage ich mich von der physikalischen Denkweise los (P. S. 31), so will ich kein richtiger Physiker sein (P. S. 33), so verzichte ich auf jede wissenschaftliche Wertschätzung (P. S. 35), kurz, so danke ich schönstens für die Gemeinschaft der Gläubigen. Denn die Denkfreiheit ist mir lieber.

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Ich muss noch einer für meine Denkrichtung bestimmenden Anregung gedenken. Es ist zeitlich die erste, die ich aber aus besondern Gründen zulezt erwähne. Schon 1853, in früher Jugend wurde meine naiv-realistische Weltauffassung durch die «Prolegomena» von Kant mächtig erschüttert. Indem ich ein oder zwei Jahre später das «Ding an sich» instinktiv als müssige Illusion erkannte, kehrte ich auf den bei Kant latent enthaltenen Berkeleyschen Standpunkt zurück. Die idealistische Stimmung vertrug sich aber schlecht mit physikalischen Studien. Die Qual wurde noch vergrössert durch die Bekanntschaft mit Herbart’s mathematischer Psychologie und mit Fechner’s Psychophysik, die Annehmbares und Unannehmbares in inniger Verbindung boten. Nach Beendigung der Universitätsstudien fehlten zum Unglück oder Glück die Mittel zu physikalischen Untersuchungen, wodurch ich zunächst auf das Gebiet der Sinnesphysiologie gedrängt wurd. Hier, wo ich meine Empfindungen, zugleich aber deren Bedingungen in der Umgebung beobachten konnte, gelangte ich, wie ich glaube, zu einer natürlichen, von spekulativ-metaphysischen Zutaten freien Weltauffassung. Die durch Kant eingepflanzte Abneigung gegen die Metaphysik, sowie die Analysen Herbart’s und Fechner’s führten mich auf einen dem Humeschen nahe liegenden Standpunkt zurück.5

Wir finden uns empfindend, denkend und handelnd mit unorganischen und organischen Körpern, Pflanzen, Tieren und Menschen neben einander im Raume. Meinen Leib unterscheide ich durch besondere Eigentümlichkeiten des Verhaltens von den ähnlichen Leibern der anderen Menschen. Die Beobachtung anderer Menschen führt durch eine unwiderstehliche Analogie zur Annahme, dass sie ganz ähnliche Beobachtungen machen wie ich, dass ihr Leib für sie dieselbe Sonderstellung [p. 235 modifica]einnimmt, wie für mich der meinige, dass sich an ihren Leib ebenso besondere Empfindungen, Wünsche, Handlungen knüpfen wie an den meinigen. Ihr Verhalten nötigt mich ferner anzunehmen, dass ihnen mein Leib und die übrigen Körper ebenso unmittelbar gegeben sind wie mir ihr Leib und die andern Körper, dass dagegen meine Erinnerungen, Wünsche u. s. w. für sie ebenso nur erschliessbar sind, wie für mich die ihrigen. Das allen gemeinsam Gegebene nennen wir das Physische, das nur Einem unmittelbar Gegebene, allen andern nur Erschliessbare nennen wir das Psychische. Das nur Einem Gegebene kann man auch das Ich nennen.

Die einfachsten Erfahrungen genügen um die Annahme einer allen gemeinsamen Welt und anderer Ich ausser dem eigenen zu begründen, welche Annahmen sich für das theoretische und praktische Verhalten zunächst gleich vorteilhaft erweisen. Die genauere fortschreitende Erfahrung lehrt aber, dass die Welt uns durchaus nicht so unmittelbar gegeben ist, als es anfangs schien. Um einen Körper zu sehn bedarf es der Gegenwart eines anderen selbstleuchtenden; um einen Körper zu hören, muss derselbe erschüttert werden und diese Erschütterungen müssen unser Ohr erreichen. Das aufnehmende Auge und Ohr muss ferner gesund, funktionsfähig sein. Schon der gewöhnliche Mensch kennt den Einfluss der äusseren Umstände und der Sinnesorgane auf den Eindruck der Welt, welche daher jedem etwas verschieden erscheint. Die wissenschaftliche Erfahrung bestätigt dies, ja sie lehrt sogar, dass die Empfindung (Wahrnehmung) durch das Endglied einer aus der Umgebung ins Zentralorgan reichenden Kette bestimmt ist, welches ausnahmsweise auch ohne äussere Anregung als Halluzination selbständig auftreten kann. In diesem Fall ist eine Berichtigung durch andere Sinne oder auch andere Personen nötig, wenn es sich um ein Urteil handelt, welches wissenschaftlichen, also sozialen Wert haben soll. Die Ueberschätzung dieses Ausnahmefalles führt leicht zu monstreusen idealistischen oder selbst solipsistischen Systemen.

Es wäre sehr sonderbar, wenn die Erfahrung über die Welt durch ihre Verfeinerung sich selbst aufheben und von der Welt selbst nichts als unerreichbare Phantome übrig lassen würde6. In der Tat können wir uns durch eine [p. 236 modifica]genauere Untersuchung von dieser Besorgnis befreien. Alles was wir sehen, hören, tasten u. s. w. hängt davon ab, was wir sonst noch in unserer Umgebung sehen, hören, tasten u. s. w., aber auch davon, was an unserm Leib durch gröbere oder feinere sinnliche Untersuchung konstatirt werden kann. Dies gilt nicht nur von den Wahrnehmungen im Ganzen, sondern auch noch, wenn wir unsere Sinnesempfindungen in die einfachsten qualitativen Elemente: Farben, Töne, Drucke u. s. w. zerlegen, für diese Elemente selbst. Nennen wir ABCDE.... die sinnlichen Elementarbestandteile der Umgebung, U die Umgrenzung unseres Leibes gegen die Umgebung und KLMN.... die sinnlichen Elementarbestandteile, die wir innerhalb der geschlossenen Fläche U vorfinden. Dann ist jedes Element der ersten Gruppe, z. B. A (das Grün eines Blattes), von andern Elementen derselben Gruppe, z. B. B (dem grünhältigen Sonnenlicht), aber auch von den Elementen der zweiten Gruppe z. B. K (Offensein der Augen) und etwa N (Empfindlichkeit der Netzhaut) abhängig. Diese ganz unabhängig von irgend einer Theorie konstatirbaren Tatsachen können und dürfen von keiner gesunden Erkenntnislehre übersehen werden. Jeder wird die Abhängigkeit innerhalb der ersten Gruppe als eine physikalische, die ganz anders geartete, die Grenze U überschreitende Abhängigkeit als eine physiologische erkennen 7.

Die Zusammenfassung der letzten Zeilen genügt nun schon, um die verschiedenen Bedenken Planck’s bezüglich der Empfindungen auf ihren wahren Wert zurückzuführen. Was wir an Abhängigkeit der ABCDE.... von einander bemerken ist gar nicht willkürlich, es ist physikalisch oder, wenn man es durchaus so nennen will real. P. S. 5. Nur das Physiologische hängt von der Individualität des Leibes ab, ist aber darum noch nicht gesetzlos, sondern wie der Einfluss eines individuellen Galvanometers, Thermometers u. s. w. bestimmbar und eliminirbar. Hiemit ist auch die Bemerkung von P. S. 35 über das Reale erledigt. Weit entfernt zu bedauern, dass wir die Sinnesemfindungen nicht ausschalten können P. S. 29, müssen wir sie vielmehr als die einzige unmittelbare Quelle der Physik schätzen und dürfen sie auch nach der Benützung nicht sofort vergessen. Denn, wenn der Ursprung des Begriffes «Kraft» auf den «Muskelsinn» [p. 237 modifica]zurückzuführen ist P. S. 7, so lehrt uns dies, dass immer und überall, wo der Muskelsinn ins Spiel kommt oder kommen könnte, wir auch eine Beschleunigung eines Beweglichen anzunehmen haben, wie sie Galilei nur für den Fall eines schweren Körpers nachgewiesen hat8. An eine Empfindungen können sich die wichtigsten Abstraktionen knüpfen. Von einer rein subjektivistischen Auffassung der Empfindungen, wie sie P S 33 anzunehmen scheint, kann gerade nach meiner Ansicht keine Rede sein. Ich weiss also nicht, ob der «schwer ganz durchzudenkende Machsche Positivismus» (P. S. 37) zu seiner widerspruchslosen folgerichtigen Durchführung noch des Schlüssels bedarf, den P. S. 35 zu besitzen scheint; ich werde übrigens für jede Hilfe dankbar sein.

Nun kann ich auch sagen, dass P. S. 34 meinen «Positivismus» nicht richtig beurteilt, wenn er denselben als Rückschlag der Misserfolge atomistischer Spekulationen ansicht. Würde das kinetische physikalische Weltbild, welches ich allerdings für hypothetisch halte, ohne es deshalb degradiren zu wollen, auch alle physikalischen Erscheinungen «erklären», so würde ich die Mannigfaltigkeit der Welt hiemit nicht für erschöpft halten, denn für mich sind eben Materie, Zeit und Raum auch noch Probleme, welchen übrigens die Physiker (Lorentz, Einstein, Minkowski) allmälig auch näher rücken. Die Physik ist auch nicht die ganze Welt; die Biologie ist auch da, und gehört wesentlich mit in das Weltbild.

Nur in ihrer physiologischen Abhängigkeit der ABCDE.... von KLMN.... sind erstere Elemente als Empfindungen zu bezeichnen, in ihrer Abhängigkeit von einander sind ABCDE.... physikalische Merkmale. Die allgemeinste Aufgabe der Naturwissenschaft besteht nun hauptsächlich in der Ermittlung letzterer Abhängigkeit von einander. Die Empfindungen lassen Erinnerungspuren (Vorstellungen) der sinnlichen Erlebnisse zurück, ob es sich um Elemente oder mehr oder veniger zusammengesetzte Komplexe von Elementen handelt. Die Nachbildungen der sinnlichen Erlebnisse durch die Erinnerungen (Vorstellungen) sind die ersten Bausteine der Wissenschaft. Indem die Vorstellungen (oder Gedanken) sich den Erlebnissen anpassen, wächst unsere Kenntnis der Umgebung, [p. 238 modifica]steigt der praktische und intellektuelle Nutzen dieser Kenntnis. Die Vorstellungen sind der Qualität nach den Empfindungen gegenüber keine neuen Elemente. Vorstellungen sind aber an Erregungen des Zentralorgans gebunden, Empfindungen aber auch an Erregungen des Sinnesorgans. Während man mit einer leuchtend, flackernd und heiss vorgestellten Flamme nichts in der Umgebung verrichten kann, wird eine leuchtend, flackernd, heiss Empfundenes wol nicht umhin können, eine Flamme zu sein, an der man auch Wasser kochen kann. Empfindungen gehören also der physischen und psychischen Welt zugleich an, Vorstellungen nur der letzteren.

Das Verhältniss meiner Auffassungen zu jenen Planck’s ist hiemit hoffentlich genügend geklärt. Es sollen nun noch wenige Bemerkungen folgen, um die Richtung meiner Erkenntnislehre näher zu bezeichnen.

Das bedingungslos Beständige nennen wir Substanz Ich kann einen Körper sehen, wenn ich ihm den Blick zuwende, ich kann ihn tasten sobald ich nach demselben greife. Ich kann ihn sehen ohne ihn zu tasten, und umgekehrt. In der Regel ist aber die Sichtbarkeit mit der Tastbarkeit verbunden. Obgleich also das Hervortreten der Elemente des Komplexes an Bedingungen gebunden ist, so sind uns diese so geläufig, dass wir sie kaum beachten. Wir betrachten den Körper als stets vorhanden, ob er uns augenblicklich in die Sinne fällt oder nicht. Wir sind gewöhnt den Körper als bedingungslos beständig zu betrachten, obgleich es eine bedingunglose Beständigkeit nicht gibt9.

Der Anblick des Körpers kann sofort den ganzen Komplex in Erinnerung bringen, was von Vorteil sein aber auch irre führen kann, wenn ich z. B. ein blosses optisches Bild wahrgenommen habe. Wir haben also allen Grund ein Ding, einen ganzen Komplex von Elementen, von der Erscheinung, einem Teil des Komplexes zu unterscheiden. Diese Erfahrung aber über die Grenzen der Erfahrung auszudehnen, ein «Ding an sich» anzunehmen, hat keinen verständlichen Sinn.

Wir haben uns gewöhnt einen Körper als beständig zu betrachten. Indem wir nun einmal dies, einmal ein anderes sinnliches Element weglassen, ohne dass der Rest aufhört den Körper zu repräsentiren, in Erinnerung zu rufen, können [p. 239 modifica]wir leicht auf den Gedanken kommen, dass noch immer etwas übrig wäre, wenn wir alle Elemente wegliessen. Wir denken an ein aussersinnliches Band der Elemente, einen Träger der Eigenschaften, an eine Substanz des Körpers in philosophischem Sinne. Diese Idee findet keine Begründung in den Elementen, die wir ABCDE.... genannt haben; sie ist lediglich der dichtenden Phantasie entsprungen.

Was der Physiker unter Substanz oder Menge versteht, ist etwas ganz anderes. Ein Körper hat ein gewisses Gewicht. Teilt man ihn und legt alle Teile nach einander auf die Wage, so ist die Summe der Gewichte dem ursprünglichen Gewichte gleich. Dasselbe gilt von den Massen des Körpers und seiner Teile, von den Wärmekapazitäten u. s. w. Gleichartige Grössen, die unter gewissen Bedingungen stets eine konstante Summe geben, sind physikalische Beständigkeiten, Substanzen, Mengen 10.

Die beobachtete Abhängigkeit der Elemente ABCDE.... von einander wird in den einfachsten Fällen durch sinnliche Vorstellungen nachgebildet und im Gedächtnis als Baustein einer rudimentären Naturwissenschaft aufbewahrt. Lassen sich nun mehrere oder viele solcher, in gewisser Beziehung übereinstimmender Bausteine, zu einem grösseren Bestandstück in Form eines Begriffes zusammenfassen, so wird dies von Vorteil sein. Ein solcher Begriff ist nun nichts weiter, als die durch das Wort bezeichnete und erregte Fähigkeit, sich jener Einzelerfahrungen zu erinnern, aus welchen er allmälig entstanden ist. Ein höherer Begriff kann andere Begriffe (als Merkmale) enthalten, doch wird sich auch ein solcher, soll er überhaupt einen naturwissenschaftlichen Sinn haben, auf sinnliche Erfahrungen über die Elemente ABCDE.... zurückführen lassen. Dies scheint ja P. zuzugeben, wenn er S. 34 sagt: «Ein einziger Blick in ein Präzisiosnlaboratorium zeigt uns die Summe von Erfahrungen und Abstraktionen welche gerade in einer solchen so einfachen Messung (Wägung) enthalten ist». Ja in der Tat, bei Anwendung auf den konkreten Fall findet ein rapider Abbau der abstraktesten Begriffe bis zu den Elementen statt, aus welchen die Theorie sie aufgebaut hat. [p. 240 modifica]Natürlich muss der Begriff die Elemente auch enthalten haben, die man in ihm vorfindet; vielleicht sind dieselben sogar wichtiger, als die durch Dichtung eingefügten Bestandteile.

Anderwärts11 habe ich dargelegt und begründet, dass unsere physikalischen Begriffe, so nahe sie den Tatsachen kommen, doch nicht als vollkommener endgiltiger Ausdruck dieser angesehen werden dürfen. Von besonderer Wichtigkeit sind die Begriffe, welche Glieder eines Begriffskontinuums sind, die mathematischen Begriffe12. «Die Beständigheit der Verbindung der Reaktionen aber, welche die physikalischen Sätze darlegen, sind die höchste Substanzialität, welche die Forschung bisher enthüllen konnte, beständiger als alles, was man bisher Substanz genannt hat.»13 Was P. Angriffe gegen meine Erkenntnislehre veranlasst hat und welches Ziel er hiebei verfolgt, habe ich hier nicht zu untersuchen. Andere mögen beurteilen, ob er im Recht war, ob meine Ansichten wirklich in so schreiendem Gegensatz zur gangbaren Physik stehen. P. findet die Stellung, die ich der Denkökonomie gebe, unbescheiden. War es aber nicht auch recht.... mutwillig, auf den ersten unangenehmen oder befremdenden Eindruck hin eine Sache von oben her zu bekämpfen, die er gar nicht kannte, die seiner Denkrichtung und Denkübung gänzlich fern lag? Ich halte es nicht für ein Unglück, wenn die an Tatsachen anknüpfenden Gedanken sich ungleich in verschiedenen Köpfen abspielen, im Gegenteil. Auch Widerspruch nehme ich nicht tragisch, er leuchtet ja oft wie eine Fackel in die fremde und auch in die eigene Gedankenwelt hinein. Aber ein Versuch den Gegner zu verstehn sollte doch vorausgehn.

Wien, Universität.

  1. The Edinburgh New Philos. Iourn. Vol. II (New Series) p. 120, 1855.
  2. Den Ausdruck «fiktiv» entlehne ich von H. Driesch.
  3. Ueber das Prinzip der Vergleichung in der Physik. «Populäre Vorlesungen», 3. Aufl. 1903, S. 263.
  4. «E. u. I.». 2. Aufl. 1906, S. 149.
  5. Direkt bin ich von Hume, dessen Arbeiten ich gar nicht kannte, nicht beeinflusst worden, dagegen kann dessen jüngerer Zeitgenosse Lichtenberg auf mich gewirkt haben. Wenigstens erinnere ich mich des starken Eindrucks, den sein «Es denkt» mir zurückgelassen hat. Humes «Untersuchungen über den menschlichen Verstand» lernte ich in der Kirkmannschen Uebersetzung erst zu Ende der Achtzigerjahre kennen, den «Treatise on human nature» gar erst 1907/8. Ich betrachte heute den metaphysikfreien Standpunkt als ein Produkt der allgemeinen Kulturentwicklung. Vgl. «Sur le rapport de la physique avec la psychologie». Binet, «L’Année Psychologique», XII, 1906, p. 303-318.
  6. «L’Année Psychologique», XII, p. 307.
  7. «E. u. I.», 2. Aufl., S. 10.
  8. «E. u. I.», S. 140.
  9. «A. d. E.», S. 1886, S. 154-157, 5. Aufl. 1906, S. 268 u. f.
  10. «W.», 2. Aufl. 1900, S. 422, u. f. Daselbst ist schon darauf hingewiesen, dass es dem Mathematiker wenig ausmacht, ob eine Summe konstant gesetz, oder die Erfüllung anderer Gleichungen verlangt wird.
  11. «E. u. I.», S. 141.
  12. «W.», Aufl., S. 421.
  13. «E. u. I.», S. 136, Vgl. Note 1, S. 239, dieser Abhandlung.