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In Indien wurde ebenfalls der Mond als der eigentliche Lebenss[t]pender verehrt. Der Mond war in Babylon männlich, die Sonne weiblich, wie bei anderen semitischen Völkern und wie in unserer Sprache; — bei den alten Ägyptern und bei den lateinischen Völkern gilt das Gegenteil.

Es wird häufig angenommen, dass die Anbetung des Mondes und der Sterne auf der Furcht vor dem Nachtdunkel beruhte. « Ein neues Licht fällt auf das Leben von der Stunde an, in der die grosse Entdeckung gemacht wurde, dass eine Nacht in Schlaf und eine Nacht in Angst gleich lange dauern, und dass sie immer von einem Morgen mit nachfolgendem Tage abgelöst werden » sagt der berühmte Historiker Troels Lund.1

Diese Entdeckung wurde aber ohne Zweifel schon von den niedrigststehenden Völkern gemacht. Sie würde auch verlangen, dass die Sonne vor allen anderen Himmelskörpern angebetet werden sollte, was aber wie wir gesehen haben, tatsächlich nicht der Fall gewesen ist. Es wird als Erklärung angegeben, dass die brennende Sonne als ein Feind von den nomadisierenden Völkern angesehen wurde, Während die kühle vom Monde erleuchtete Nacht als ein erquickender lebenserweckender Freund betrachtet wurde. Bergström spricht in einem in « Nordisk Tidskrift » 1959 erschienenen Aufsatz die Ansicht aus, dass der glänzende Mond mit seiner stark wechselnden, bald zu? bald abnehmenden Gestalt viel mehr das Gefühl und die Phantasie der Naturvölker erregt habe als die stetig strahlende Sonne. Alle diese beiden Erklärungversuche sind offenbar dazu erfunden, um etwas an und für sich Unglaubliches verständlich zu machen. Der Schrecken vor dem Nachtdunkel, worin die Feinde unsichtbar herumschleichen, ist für alle niedrig stehenden Völker natürlich. Aber auch die vom Mond erleuchtete Nacht erlaubt uns schwer den lauernden Feind zu entdecken, sie erweckt ebenfalls Angst. Die Nacht zeichnet sich ferner in tropischen Gegenden häufig durch eine bittere Kälte ans, welche für das Leben verhängnisvoll sein kann. Davon rührt vermutlich die allgemein verbreitete Ansicht her, dass das Schlafen im Mondlicht schwere Krankheit und speziell

  1. Troels-Lund : Dagligt Liv i Norden Bd. 13, S. 16.