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Flur zu Flur, ganz unterschiedliche Formen, Optionen und (dezentrale) Lösungen zu beobachten und zu erforschen. Umgekehrt und gleichzeitig ist im Alpenraum auch - etwa durch Tourismus- und Energiewirtschaftsinteressen - der Akkulturationsdruck von aussen (und von innen) her besonders stark spürbar. Die Auseinandersetzung um die eigene Identität der alpinen Bevölkerung ist entsprechend heftig, im übrigen ein jahrhundertealtes Phänomen und auch des halb von grösstem Interesse für die historische Analyse.

Nutzungsformen und Siedlung, Boden, Verkehr und Transit, Migration, ökonomische Dependenzen und Komplementaritäten, Wahrnehmungsformen, Mentalitäten und politische Meinungsbildung: auf einer mittleren Abstraktionsebene gibt es zahlreiche Themen, die einer inter- oder zunächst besser pluridisziplinären Erforschung bedürfen. Erfordernisse und Schwierigkeiten der interdisziplinären Zusammenarbeit sind bekannt. Unabdingbare Grundkenntnisse über je spezifische Methoden und Erkenntnisinteressen, auch über je eigene Forschungs- und Informationsdynamiken der jeweiligen Disziplinen sind auch unter Geschichtsforschenden vielfach sehr schmal.

Zu wenig auch ist es bisher der Geschichtsforschung gelungen, ihre grundsätzlichen Ziele, Interessen und Funktionen in der fachübergreifenden Diskussion deutlich und verständlich zu machen. So ist die von Naturwissenschaftlern in der Zusammenarbeit häufig zuvorderst nachgefragte Produktion von «harten Fakten» und «historischen Beweisen» als Grundlagenmaterial in Teilbereichen wie beispielsweise bei quantifizierbaren Aspekten der Klima- und Bevölkerungsgeschichte zwar (erfolgreich) geleistet worden, in zahl reichen anderen, für die Geschichte trotzdem interessanten Bereichen aber sicher nur sehr punktuell oder überhaupt nicht zu erbringen. Eine solche Produktion entspricht aber gar nicht der Hauptfunktion von Geschichtswissen, besonders wenn es um weiter zurückliegende Epochen geht. Diskussion und Vermittlung von fachhistorischen Forschungsresultaten zielen letztlich weniger auf Bereitstellung von Faktenwissen über allfällige Nachwirkungen vergangener Zustände ab als auf die Erweiterung des kulturellen Orientierungswissens in Form struktureller Analogien. Das müsste in der Zusammenarbeit noch deutlicher vermittelt werden.

Allerdings, und nach den genannten Einschränkungen darf dieser Hinweis doch auch noch angeführt werden, sind Geschichtsforschende manchmal schon etwas erstaunt über historische Argumentationen, wie sie etwa in der Siedlungs- und Migrationsforschung, in der Raumplanung oder auch in der Agrarökonomie immer dort zum Zuge kommen, wo von Entwicklung die Rede ist. Vom fach-

SABLONIER: ALPENFORSCHUNG AUS SICHT DES HISTORIKERS 59