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Spätmittelalter eine zunehmende Spezialisierung auf Viehwirtschaft fassen, weshalb die genannten Autoren oft von einem alpinen «Hirtenland» sprechen. In einer agrarhistorischen Untersuchung habe ich kürzlich die Auffassung vertreten, dass sich die inneralpinen Regionen der Schweiz nicht in das Hirtenlandparadigma einfügen, sondern während der frühen Neuzeit und darüber hin aus durch gemischte Produktionsweisen geprägt waren.14 Ein weiteres Beispiel für Regionalstudien, welche den kantonalen Rahmen übersteigen und zugleich die methodische Problematik regionaler Forschung thematisieren, bildet der Beitrag von Roger Sablonier in einem repräsentativen Werk über die Innerschweiz des Mittelalters.15 In der historiographischen Tradition ist dieser Raum aufs engste mit der schweizerischen Staatsbildung und Alpensym bolik verknüpft, was uns zur Einleitung zurückführt.

Die bisherigen Ausführungen könnten den Eindruck wecken, dass die Berg-gebiete in der historischen Praxis der Schweiz eine wichtige Stellung einnehmen. Ein Blick in die Liste der laufenden und abgeschlossenen Forschungs arbeiten an den schweizerischen Universitäten für das Jahr 1995 genügt, um uns eines anderen zu belehren. Die Verteilung der angeführten Studien ist ausgesprochen ungleich: Die Ballungszentren des Mittellandes werden sehr viel häufiger thematisiert als der Alpenraum.16 Ein Grund dafür liegt schon im Umstand, dass sich die Hochschulen mit historischen Instituten ausserhalb des Berggebiets befinden und grossmehrheitlich in den Kantonsrahmen einfügen. Obwohl der Einfluss des nationalen Alpeninteresses also nicht über-schätzt werden darf, wird man kaum bestreiten wollen, dass die Geschichts-forschung in den alpinen Landesteilen sowohl aktiv wie im Zunehmen begriffen ist. In jüngster Zeit haben sich auch die institutioneilen Voraussetzungen verbessert. 1985 wurde zum Beispiel in Graubünden der «Verein für Bündner Kulturforschung» gegründet, der unter anderem das oben erwähnte Hand-buch heraus gibt. Wenig später eröffnete man im Wallis das «Forschungsinstitut zur Geschichte des Alpenraums», welches sich mit Editionsarbeiten befasst und internationale Symposien zur alpinen Geschichte veranstaltet.17 Schliesslich sind die länderübergreifenden, staatlich getragenen Verbände des Alpenraums zu erwähnen. Die «Communauté de Travail des Alpes Occidentales», an der sich Westschweizer Kantone beteiligen, hat erst neulich mit kulturellen Projekten begonnen. Bei der «Arbeitsgemeinschaft Alpenländer», welcher drei Ost- und Südschweizer Kantone angehören, haben solche Aktivitäten Tradition. Seit 1981 organisiert die Gemeinschaft Historikertage mit publizierten Akten.18

MATHIEU: ALPENDISKURS UND HISTORISCHE FORSCHUNGSPRAXIS IN DER SCHWEIZ 51