Pagina:Decurtins - Rätoromanische chrestomathie, II.djvu/265

Nachwort

.

Während die geschriebene Litteratur des Sur- und Subselvischen — meistens Übersetzungen — einen ausgesprochen exotischen Charakter trägt, erweist sich die mündlich überlieferte als in Geist und Form durchaus national. …

Dieser im besten Sinne volksthümlichen Litteratur glaubten wir einen ganzen Band unserer Chrestomathie einräumen zu sollen, und zwar so, dass wir in der einen Lieferung Märchen, Novelle, Sage, Sprichwort, Landwirtschaftsregel, Rätsel, Kinderlied und Kinderspiel, Volksbrauch, Spruch und Zauberspruch vereinten, die zweite aber dem Volkslied vorbehielten.

Es ist das Beste von dem, was sich dem Herausgeber als Frucht einer mehr als zwanzigjährigen eifrigen Sammlerthätigkeit ergeben hat. Mit freudigem Danke sei hier all der zahlreichen Frauen und Männer gedacht, die ihn dabei mit stets sich gleich bleibendem warmem Interesse und nie ermüdender Ausdauer unterstützt haben.

Nicht Alles freilich, was hier dem Leser geboten wird, ist bis zur Stunde ungedruckt geblieben. Zerstreut haben wir da und dort in romanistischen Zeitschriften bereits einen Teil der Märchen herausgegeben, und von den Sprichwörtern finden sich die Hälfte, von den Rätseln zweiundvierzig schon in anderen Sammlungen. Alles übrige aber erscheint hier zum ersten Male.

Während die rätischen Gelehrten, die sich bis jetzt mit dem rätoromanischen … Folklore beschäftigt haben, überall deutsche Mythologie erkennen wollten, beweist unsere Sammlung, dass die Bewohner Rätiens mit der Sprache auch vielfach Glaube und Brauch des herrschenden Römervolkes … und seiner — gerade in Rätien ja sehr zahlreichen — kriegerischen Sendlinge angenommen haben. Um nur einige wenige Beispiele anzuführen: die geheimnisvolle Pun de Sontgia Gada, die im Kinderlied und Kinderspruch eine so grosse Rolle spielt, die Sibilla und Cilgia in den R